"Formationen"

Formationen

Katalog 1998 - vergriffen

Bilder auf Leinwand und Karton aus den Jahren 1996 - 1998

Text: Prof. Dr. Melanie Luck von Claparéde
Landesmuseum Oldenburg

"FORMATIONEN"

AUFBRUCH DER LANDSCHAFT

PUCK STEINBRECHER ARBEITEN 1996-1998

"Ich bin Landschaftsmaler", sagt Puck Steinbrecher. Und: "Ich bin in Norddeutschland. Nicht unbedingt lokalisierbar." Ein norddeutscher Landschaftsmaler? Heute? Wohl doch ein totaler Anachronismus!

Der über zwanzig Jahre anhaltende Erfolg spricht dafür, sich unabhängig von Trends in Norddeutschland mit Landschaft auseinanderzusetzen. Keine lokalen Ausstellungen, aber: Art Cologne und Art Miami. Die Präsentation der gut fünfunddreißig Arbeiten im Landesmuseum 0ldenburg ist die erste große Schau auf eigenem Terrain.

Landschaftsmalerei in Norddeutschland ist gedanklich untrennbar verbunden mit Holland im 17. Jahrhundert, mit deutscher Romantik, mit Dangast und anderem mehr. Aber Puck Steinbrecher heißt nicht Wouwermann oder Caspar David Friedrich oder Radziwill. Und doch ist imein Splitter von alledem spürbar.

Puck Steinbrechers Bilder handeln vom Wasser und vom Himmel und vom Land. Aber sie sind nicht Bilder von der Schelde oder vom Riesengebirge oder vom Deichdurchbruch. Sie sind ebenso ortlos wie zeitlos. "Oktoberinsein" heißt nicht Inseln im Oktober, sondern daß Steinbrecher diese Bilder im Oktober angefangen hat. In ihrem hohen Grad an Abstraktion bekommen sie einen hohen Grad an Allgemeingültigkeit. Und das ist nicht Beliebigkeit!

I

DER MALER UND SEIN ORT

DAS ATELIER AM MEER

Das Atelier liegt am Zwischenahner Meer. Fast im Wasser. Und dieses "Meer" in seiner ständigen Veränderlichkeit von Tages und Jahreszeit und Wetter zwischen sommerlich klarer Heiterkeit und dramatischem Herbststurm, wenn Wasser und Land eins werden, ist der Ort der Inspiration. Nicht Motiv, sondern unaufhörlicher Ideen und Bildgeber. Und der Weg geht dann nach innen, zu inneren Bildern. Man möchte sagen: im Sinne Caspar David Friedrichs.

Er hört gern klassische Musik, sagt er, beim Malen, Spätromantiker. Brahms und Mendelssohn. Und Tschaikowsky. Nein, keine Opern. Es gibt ja auch keine Akteure in seinen Bildern. Und er reagiert auf das Meer draußen und auf die Musik im Atelier: malt ganz sentimental, pastoral und chaotisch, expressiv. Der Vorgang des Malens ist ein psychologischer.

Gleichwohl sind die Bilder keine Psychogramme. Denn bei alledem geht der Maler Puck Steinbrecher intellektuell planend an jedes Bild heran.

Das Entstehen aller Bilder in diesem Atelier ist wesentlicher Ausgangspunkt zum Verständnis: sind sie doch nicht sur le motif gemalt, auch nicht nach Skizzen sur le motif.

II

DIE BILDER

1. Die Architektur der Bilder

Puck Steinbrecher geht gleichsam architektonisch ans Werk und baut seine Bilder. Zuerst das Gerüst der schwarzen Konturen. Sie sind tektonischer Halt und Kontur, geben den von ihnen umgrenzten Farben Leuchtkraft, trennen das eine vom anderen. Manchmal weiten sich diese Konturen zu Flächen, werden zu schwarzen Schluchten von dramatischer Kraft, wie in den Bildern "Neuland", "Durchdringung", "Großes Ereignis". Oder sie liegen als feine Adern aus Kreide auf der Acrylfarbe und umspielen als Kontur die von der Farbe gegebene Form, wie in den Bildern der "Oktoberinseln".

Es geht also nicht um die Beantwortung der Frage: Was kommt zuerst, der Himmel, das Wasser oder die Erde? Es geht zu allererst um das Gerüst des Bildes. Einmal mehr wird deutlich, wie sehr nicht das Objekt, die wohl anekdotisch geschilderte Landschaft, das Entscheidende ist, sondern vielmehr die in der Abstraktion subsumierten Gedanken zur Landschaft.

Diese essentielle Tektonik bei gleichzeitiger Zurücknahme aller Erinnerung an Landschaft wird ganz entschieden umgesetzt in den auf Weiß und Schwarz reduzierten Bildern. Ihre Titel sind gleichsam Programm: "Gerüst", "Gefüge", "Formation". Das große Format von 160 x 140 bis zu 200 x 180 cm steigert ihre kraftvolle Architektur.

Im "Gefüge" (Acryl/Lwd. 160 x 140 cm. 1997) liegt eine große schwarze mehreckige Formation diagonal im Bild, vom Weiß wie ausgespart. Den kleineren rechtwinkligen Armen der linken Seite antwortet ein ähnliches Gefüge kleineren Formats, aus dem unteren Bildrand emporstrebend. Assoziationen vielfältiger Art keimen im Betrachter. Die Möglichkeit, das Weiß und das Schwarz positiv aktiv oder negativ passiv zu sehen. Näher oder ferner. Perspektive? Draufsicht?

Überarbeitungen, Freilegung anderer Schwarzflächen, Wiederaufnahme bewährter Konstruktionen. Der Maler baut seine Flächen zu neuen Bildern. Bei diesem komplexen Umgang mit der Nichtfarbe Schwarz denke ich an Franz Kline. Auch hier nicht die vielbeschworene Kalligraphie, sondern das in expressiver Gestik durchdeklinierte Spiel mit der Tektonik. Wieviel Weiß, wieviel Schwarz kann die Fläche vertragen? Wie liegt die Gewichtung? Wo das Gleichgewicht? Ein Mobile in die Fläche verlegt.

Wie im "Gerüst I" (Acryl/Lwd. 200 x 180 cm. 1969) diese drei schwarzen Arme sich um die weiße Mitte schwebend bewegen! Wie in der "Formation" (Acryl/Lwd. 135 x 150 cm. 1997) die Konturen darunter Liegendes spüren lassen und den Prozeß der Überarbeitung sichtbar machen!

Die Bilder sind Collagen. Sie sind von anderer Struktur und geben eine subtile Plastizität zu erkennen. Ein Experiment.

2. Die Farbe. Das Element.

Puck Steinbrechers Bilder vom Wasser, von der Luft und von der Erde sind Bilder in Blau, Gelb, Grün und Rot. Mit den Nichtfarben Schwarz und Weiß. Klare, lapidare Reduktion der Palette, wie auch in der Konstruktion Klarheit und Weniges angesagt sind. Das bedeutet beileibe nicht Minimalismus. Denn die Passion ist groß in diesen Bildern, und die Farben sprechen, wie auch die Formen, mitunter eine leidenschaftliche Sprache.

Farbe und Pinselduktus haben ein eigentümliches, jedoch verständliches Verhältnis zueinander. Weil eben mit der Farbe doch unweigerlich Assoziationen verbunden sind: so fließt das Blau der Wasserbilder weicher und wäßriger aus weichem Pinselduktus. Und die Differenzierung und Modulation der Farbe gestalten Nähe und Ferne und steigern die fast magischmystische Kraft der Farbe Blau zum intensiven Erleben. Und lassen, ganz vordergründig, kognitiv Meerestiefe und Gischt und Himmel sehen und fühlen, die Elemente Wasser und Luft.

Eine andere Differenzierung stellt sich ein beim Vergleich der Bilder auf Karton mit denen auf Leinwand: Auf den neuen Bildern der "Oktoberinseln" (Acryl/ Karton, 80 x 64 cm. 1997), die vom konkreteren Ausgangspunkt zunehmend größer im Ausschnitt und abstrahierender werden, gerät der Pinselduktus zu unerhörter, fast eruptiver Heftigkeit, wohl getragen von großer Spontanität. Wie aus dem warmen Bauch heraus. "Der Umgang mit Papier ist nicht so respektvoll", sagt Puck Steinbrecher.

Hingegen sind die Arbeiten in den Grundfarben Gelb und Blau und diejenigen in den Komplementärfarben Rot und Grün, bei denen sich durch die oben skizzierten schwarzen dreiarmigen Zentren unweigerlich eine Vorstellung von dramatischen Erdvorgängen einstellt, durch einen eher strengen, sehr gezielten Pinselduktus gebändigt.

"Neuland" (Acryl/Lwd. 180 x 160 cm. 1996). Ein mächtiges rotes Dreieck schiebt sich mit seiner Basis aus dem unteren Bildrand und stößt mit seiner Spitze in eine schwarze Fläche, deren drei Arme Begrenzung und Öffnung zugleich sind. Ein sehr gezielt rechtwinklig ansetzender Pinselduktus versetzt die Kontur der Fläche zu spaltähnlichen Öffnungen. Spannung erzeugt eine blaugrüne Dreiecksformation von oben rechts, die mit ihrer BeinaheBerührung farblich und formal den Kontrapunkt zum leuchtend roten Dreieck formuliert. Eine wenig dunkler rot modulierte Fläche drängt von oben links und umschließt leicht segmentförmig das schwarze Zentrum, schließt zugleich das zum Ganzen Form und Farbe dieser Arbeit haben eine unerhört suggestive Kraft. In seiner lapidaren Syntaktik ist das Werk monumental in der Wirkung, ja geradezu pathetisch monumental.

Die Farbe hat elementaren Charakter. Nicht nur als Primär und Sekundärfarbe. Sondern weil die Assoziation durch die Form beschleunigt mit Land, mit Fels, will sagen mit dem Element Erde, in diesem Ausschnitt von Erde die rein abstrakte Malerei überhöht. Das ist weder Objektfarbe im Sinne eines deskriptiven Naturalismus noch

Symbolfarbe im Sinne einer inhaltlichen Befrachtung. Ich möchte am ehesten von expressiver Suggestivfarbe sprechen. Fast konservativ im Sinne van Goghs. Und vom Selbstwert der Farbe und vom Selbstwert der Form. Das sinnliche Erleben dieser Farben ist eine Grundsatzerfahrung vor den Bildern Puck Steinbrechers. Man spürt die emotionale Befindlichkeit im Nebeneinander von "Neuland l" und "Neuland II". Da werden die drei Farbformationen um das dreiteilige Schwarz erweitert zum klassischen Dreiklang von Rot und Grün und Gelb. Und das Werden der Farbe "Grün" aus Blau und Gelb wird sichtbar gemacht in der wolkigen Überlagerung des Blaus durch Grün und Gelb.

Von anderer Monumentalität ist "Feld" (Acryl/ Lwd. 180 x 160 cm. 1997). Verblüffend ob der Einfachheit und irritierend zugleich wegen der Rezeptionsmöglichkeit als Bildraum oder Bildfläche.

Drei horizontale Farbflächen: über einem unteren schmalen Streifen in Grün und Ocker eine groß ancieleate dominierende gelbe Fläche mit weichen Einschüben von Blau und Weiß. Und darüber, einen tiefblauen Streifen überlagernd, eine nach oben hin heller werdende blaue Fläche. Halb so hoch wie die gelbe. "Feld": Wir lesen die einzelnen Bildteile als grünen Bodenstreifen, blühendes Rapsfeld unter blauem Himmel. Auf Grund der horizontalen Lagerung d i e s e r Farben und des überwiegend horizontalen Farbduktus. Wir lesen den Raum insbesondere von Gelb zu Blau. Denn das Grün zu Gelb wirkt wenig raumbildend. Man riecht förmlich den sonnigen Sommertag, spürt die heitere Gelassenheit. Dem Werk abträglich, weil sentimental? Kaum. Ich kann ja doch kognitiv zurückschrauben auf drei horizontal lagernde Farbflächen.

Angesichts dieser Ambivalenz in der Wahrnehmung, begünstigt durch eine gleichberechtigte und ähnliche Oberflächenbehandlung aller Teile, spreche ich von subjektiver Suggestion. Vom individuellen Aufbruch in der Landschaft. Und vom Aufbruch der Landschaft. Und von elementarer Farbe. Wörtlich genommen.

3. Der Maler als Homo ludens. Vom Umgang mit dem eigenen Werk.

Puck Steinbrecher arbeitet mit seinen eigenen Arbeiten. Ich formuliere das bewußt so. Und man spürt im Nebeneinander der Bilder den Status nascendi. Ein Bild stellt nie das endgültige Ergebnis eines Schaffungsprozesses dar.

Eine gefundene und für gut befundene Bildformel wird aufgegriffen und unter die Lupe genommen. Ein Bildausschnitt mit Hilfe eines Passepartouts als neues Bild angesehen und so als Neuschöpfung aus der Altschöpfung auf die Leinwand gebracht. Wörtlich, verändert in Form und Farbe, mitunter um 90 Grad gedreht. Spielerischschöpferischer Umgang mit dem eigenen Werk. Der Maler als Homo ludens.

Nicht um der xbeliebigen Reproduzierbarkeit und Vermarktung willen, sondern um? Ja, weswegen? Um der Neuentdeckung wegen beim Blick durch die Lupe. Um der "Durchdringung" so ein Titeldes eigenen Arbeitsprozesses wegen. Um des Blickes hinter die oberflächlichoptische Erscheinung willen, auch durch Veränderung. Und wohl immer wieder um der Neuschöpfung willen von Bildern aus dem eigenen Inneren.

"Neuland l" und "Neuland II", weiter oben besprochen. "Großes Ereignis" und "Großes Ereignis II" (beide Acryl/Lwd. 180 x 200 cm. 1997). Dramatisch das Ergebnis im Ausschnitt als Blowup. Selbst in der Vergrößerung des Pinselduktus. Der Blick durch die Lupe bringt verblüffende Ergebnisse.

Man sieht nur das, was man weiß. Aus diesem Wissen um die Arbeitsweise des Künstlers erwächst für den Betrachter eine neue Erfahrungsebene, wird aus dem verstandesmäßigen Sehen entsprechendes Verständnis.

Wie sehr der Maler Puck Steinbrecher in seinen Bildern lebt, macht gerade dieser Werkprozeß ersichtlich. Auch, daß Malen ein Muß ist. Gleichsam ein werktätiger geistigkörperlicher Dialog mit dem eigenen einmal Geschaffenen. Nein, keine Nabelschau. Stets immer wieder "Neuland".

Der Maler Puck Steinbrecher ist ein harter Arbeiter. Das zeigt diese Oldenburger Präsentation. Von den hier gezeigten fünfunddreißig Bildern waren vierunddreißig noch nirgends zu sehen.

III

DIE BILDER UND DER REZIPIENT. WIR

"Bilder sind weder gut noch böse. Man kann sie haben oder auch nicht haben." Dieser vielzitierte Satz Martin Luthers zur Rechtfertigung des Bildes als Medium zur Unterweisung trifft einen essentiellen Zugang zum Werk Puck Steinbrechers: Das Bild an sich ist ein Ding von Leinwand und Holzrahmen und Acrylfarbe. Und was der Maler gemacht und geplant und gedacht hat, vollendet sich erst im Auge und im Kopf, vielleicht im Herzen des Betrachters. Und stets auf andere Weise. Unser höchst subjektiver Umgang mit dem Werk, unsere Zuneigung oder Abneigung, unsere "Sicht", unsere Phantasie machen es zu einem individuell erfahrbaren Bildwerk.

Puck Steinbrechers Arbeiten verlangen nach dieser aktiven Teilnahme. Sie sind nicht pures Dekorum für die Wand. Diese großformatigen Bilder von Rot, Grün, Gelb, Blau, Schwarz und Weiß fordern die Phantasie des Betrachters, ja, fördern sie. Um Küste und Insel und Himmel und Rapsfeld zu sehen oder auch nicht. Um teilzuhaben an den dramatischen, eruptiven Aufbrüchen der Landschaft. Was heißt Landschaft? Natur allgemein? Wie konkret ist das hier Gesehene zu verstehen?

Die Assoziationen des Künstlers zu seinem Werk im Werkprozeß sind als Hilfeleistung wörtlich zu nehmen: "lnselwelt". "Großes Ereignis". "Geschehnis". "Ankunft". "Eroberung". "Durchdringung". Wir sprachen oben vom Status nascendi im Werkprozess. Es ist noch mehr: Landschaft ist als Natur zu verstehen: als Natur in ihrer Veränderlichkeit. Als Natura naturans: aus sich selbst heraus schöpferisch tätig.

Der Rezipient sucht den Gegenstand im Bild, Die Verknüpfung mit einem Objekt. Das liegt in unserer menschlichen Natur begründet. Die Titel geben Hilfestellung in diesem Assoziationsprozess. Gleichwohl ist hier nicht eindeutige Bindung ans Objekt angesagt, sondern wird vielmehr jede Freiheit gelassen für eigenbildliche, innerbildliche Entfaltung. So variiere ich in meinem Sehen auf die "lnselwelt"Bilder zwischen Vogelperspektive, also größtmöglicher Entfernung und sehe, sprich erkenne Inseln und mikroskopischer Nahsicht und tauche wie in das Drama eines Aufbrechens von blauer Fläche in schwarze Abgründe. Bei gleicher Formation.

Theodor Schwenk analysiert 1962 in seinem wegweisendem Buch" Das sensible Chaos" die Vergleichbarkeit der großen mit der Kleinstform in der Natur und transportiert den uralten Gedanken der Analogie von Mikrokosmos und Makrokosmos in die moderne Chaosforschung. Puck Steinbrechers Bilder fordern heraus zu diesen weit ausholenden Gedanken. Ähnlich hat auch Willy Athenstädt 1995 nachgedacht. Diese Landschaften umgreifen große Räume. Riesige leere Weiten mit endlosen Horizonten oder Vogelperspektiven planetarischen Ausmaßes. Um im Rezipienten zugleich doch innere Räume, innere Leeren zu erzeugen. So geht Puck Steinbrecher nicht dem Objekt auf die Spur, sucht nicht, was in der Landschaft als Baum, Strauch, Stein, Fels, Tier, Mensch lebt und wächst, sondern sucht die Formation, die Architektur der nackten Erde, soll ich sagen: der Welt. Der Bildbau steht im Zentrum seines bildnerischen Nachdenkens über Erde, Wasser, Himmel.

Die Konturen dieser drei hat Puck Steinbrecher von jeher stark umrissen. Ihre Grenzen ausgeprägt. Ihre Brüche, Aufbrüche, Verzahnungen, ihr malerisches Verweben oder ihr kantiges Aneinanderstoßen geraten jetzt, in diesen neuen Arbeiten zur pathetischen Steigerung.

"Durchdringung" (Acryl/Lwd. 180 x 160 cm. 1997). Ein weiches, warmes, sinnliches Gelb von busenhafter Form wächst bildbeherrschend von rechts, unterstützt von gelber Fläche von unten, einer schwarzen Fläche entgegen, die sich im oberen Goldenen Schnitt vierfach verzweigt. Ein weißlichgelbes Flächensegment von links. Den dramatischen Effekt formulieren zwei schmalere Einschübe, deren flammendes Rot unter dem überlagernden Gelbgrün auflodert. Ein unwahrscheinlich starkes Bild! Drama. Pathos. Weit entfernte Erinnerung an Gesehenes oder Gehörtes von Sonne und Feuer und Lava. Mythos Landschaft?

Noch einmal ein Wort zur Titulierung. Die Vergabe von Titeln bewirkt zweierlei: Zum einen ist der Titel Sehhilfe, Identifizierungshilfe zum Bilderlesen im konservativen Rezeptionssinn. (Ich spreche hier nicht vom Wiedererkennen. "Das ist der Flötenteich! Das sind die Ostfriesischen Inseln!") Man mag über die Notwendigkeit der Titulierung streiten. Ich selbst bin bei Bildunterschriften mit "o.T." oder gar "o.T l" bis "o.T Ill" ärgerlich. Dann schon lieber der stets passende Titel "Entführung", wenn zwei Farben aufeinanderknallen.

Zum anderen ist ein Titel für ein zunehmend abstraktes Bild Anleitung zu einer neuen ästhetischen Sehweise der Weit um uns, der Umwelt. Ich erfahre nach dem Bild "Feld" und der entsprechenden Assoziation ein blühendes Feld in natura wie eine große, gelbe, abstrakte, duftende Fläche. Und sehe nicht den Marktwert von Rapsöl oder von Gründünger bei der taubenblauen Fläche blühender Phazelien. Und ich nehme aus dem Flugzeug heraus eine großartige ästhetische Ordnung wahr beim Anblick von Wolke und Wasser und Land. Und analysiere nicht als Kartograph, Geograph oder Meteorologe.

Diese Rückkopplung zur Kunst ist ein aufregender Prozeß und führt wie die Gedanken Theodor Schwenks zur eigenen Bewußtwerdung weit über das Bild hinaus.

Ich habe Photographien vom USamerikanischen Südwesten vor mir. Große dramatische Bilder von rotem, felsigem Land, von leuchtenden Himmeln und gleißenden Wassern. Ein Schritt zur Abstraktion, zur optischen und gedanklichen Loslösung vom geographisch eindeutigen Objekt. Und Puck Steinbrechers Bilder sind da. Und ich spüre einmal mehr, wie sehr seine Landschaften innere, geschaute sind und nicht unbedingt gesehene.

Gestaltung in Form und Farbe, in der Architektur der Bilder. Und das Drama entfaltet sich aus dem Inhalt, den die Form gestaltet. Plötzliches eruptives Aufbrechen von Erde und Meer und Himmel. Und dann wieder sanftes Weben. Drama der Natur. Drama der Schöpfung. Landschaft im Aufbruch.

Puck Steinbrechers Landschaften sind menschenleer. Unbewohnt. Doch bewohnbar in ihrer Abstraktion für die Phantasie des Betrachters. Titel oder nicht Titel. Und sie sind dramatisch.

Das Drama entfaltet sich kraftvoll aus der Gestaltung in Form und Farbe, in der Architektur der Bilder. Und das Drama entfaltet sich aus dem Inhalt, den die Form gestaltet. Plötzliches eruptives Aufbrechen von Erde und Meer und Himmel. Und dann wieder sanftes Weben. Drama der Natur. Drama der Schöpfung. Landschaft im Aufbruch.

Prof. Dr. Melanie Luck von Claparède
Oldenburg und Virginia, USA
April 1998